Ein ganz besonderes Souvenir

31. Rüsselsheimer Filmtage: Kritische Satire lässt nichts aus

Ein Hai in der Frisur – das hältst Du doch im Kopf nicht aus. Oder doch?

Man kann den berühmten Tucholsky-Satz „Was darf Satire?“ auch umformulieren und fragen: „Was kümmert Satire?“. Die Antwort ist dieselbe: „Alles.“ Das erlebten die Besucher der 31. Rüsselsheimer Filmtage dank einer außergewöhnlichen Bandbreite satirischer Arbeiten zu so gut wie allen Fragen, welche die Zivilgesellschaft angesichts der Herausforderungen durch Politik und Wirtschaft umtreiben, Feminismus, Integration, Diversität inbegriffen. Am Ende aber gewann ein Beitrag, dessen absurder Inhalt zu Reflexion und Lachen gleichermaßen anregte. Es war der kurze Film über den Mann, der sich damit arrangiert hat, im Alltag einen toten Hai auf dem Kopf zu tragen.

Wenn sich im Urlaub ein Hai im Kopf verbeißt und dort dann ähnlich einer Mitra nach oben ragt, kann man versuchen, den loszuwerden – oder die Misere zu tolerieren. Dafür hat sich Torben entschieden, einer der beiden Protagonisten im Film „Hai Latte“ von Carsten Strauch. Er sitzt im Café dem Freund gegenüber, im Hintergrund poliert der Barista Gläser, beide trinken irgendwas mit „latte“. Perspektivisch leichter wird das Leben mit dem Kadaver allerdings nicht, etwa die Nutzung des ÖPNV macht Probleme, und der einsetzende Verwesungsgeruch ist wahrzunehmen. Aber vom Urlaub am Meer ist nur Gutes zu berichten, einschließlich Empfehlung fürs Hotel. 

Was an Absurdität in drei Minuten passt, ist eine Meisterleistung – ebenso wie das Skript für den Dialog der beiden Protagonisten im Film, das einen Extra-Preis verdient hätte. Carsten Strauch gewinnt nach 1996 mit „Futter“ bereits zum zweiten Mal bei den Rüsselsheimer Filmtagen, diesmal gemeinsam mit Co-Regisseur Pjotr J. Lewandowski. Er erhielt als Drehbuchautor und Regisseur den mit 5.000 Euro dotierten Siegerpreis, die den „Scharfen Blick“ symbolisierende und gelegentlich als kleiner Oscar des Satirischen Kurzfilms apostrophierte Bronzeplastik aus den Händen von Michael Kirchberger, Vorsitzender der Stiftung Cinema Concetta.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Platz zwei, dotiert mit 2.000 Euro, gestiftet von den Stadtwerken Rüsselsheim, ging an Sejad Ademaj für die Fiktion des „Fremdsprachen-Akzent-Syndroms“. In dem Streifen „Deutsche Sprache, schwere Sprache“ versteht Theo, der Leadsänger einer Nazi-Band, als Klinikpatient zwar Deutsch, aber kann plötzlich nur noch auf Arabisch antworten. Sein Pech: Kurz vor dem wichtigsten Konzert seiner Karriere war er unschuldig in einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verwickelt worden. Im Krankenhaus erkennt er den Unfallgegner wieder, einen Arzt mit augenscheinlich arabischem Migrationshintergrund. Dieser kurz vor seiner Einbürgerung stehende Mediziner wird darauf hin von dem Sänger erpresst. Er solle ihm (wieder) Deutsch beibringen. Andernfalls, so die Drohung, werde eine Anzeige die Einbürgerung des Arztes aufs Spiel setzen..Als Mitglieder seiner Band im Krankenhaus eintreffen, entgleitet Theo die Kontrolle gänzlich 

Nacht zum Gruseln?

Alle Geister, deren Namen sie kennen, beschwören die drei Teenager Tom, Leila und Petey. Sie haben sich in „A Bloody Graveyard Story“ nachts Zutritt zu einem Friedhof verschafft. Dort unterlassen sie nichts, um sich in abgrundtiefe Gruselstimmung zu versetzen. Allein, es nützt nichts. Bis einer der Eindringlinge schaudernd den Blick senkt, denn ein weißer Geist, mit großem Blutfleck in der Mitte seiner Erscheinung, ist eben einem Grab entstiegen. Als die beiden Begleiter beschwichtigen - denn sie haben es erkannt, dass es sich um eine gebrauchte Menstruationsbinde handelt -, fährt das vermeintliche Gespenst in die Grube zurück. Lässt es die Anwesenden mit der Frage zurück, warum man sich hier gruseln muss? Der dritte Preis mit 1.000 Euro, gestiftet von der institutionellen Partnerschaft „Stark für Rüsselsheim“ ging an Vanessa Stachel.

HR-Moderator Philipp Engel führte wieder die Interviews mit den Preisträgern, auch entsprechend einer Besonderheit der Filmtage: Wer einen Film einreicht, muss beim Festival anwesend oder zu Drehbuch, Regie etc. adäquat vertreten sein. Das bedeutet auch fürs Publikum den direkten Kontakt mit den Künstlern im Biergarten vor dem Theater. Für passende musikalische Unterhaltung sorgte dabei in diesem Jahr die von dem Gitarristen Stefan Kowollik begleitete Saxofonistin Anke Schimpf. Zahlreiche Stände versorgten mit Speisen und Getränken. Die Dominanz der klassischen Bratwurst wird seit jeher durch Grünkernbratlinge und andere Spezialitäten für vegan oder vegetarisch lebende Filmliebhaber gebrochen.

Stiftungsvorsitzender Michael Kirchberger bedankte sich bei den Sponsoren und Förderern - darunter die Stadt Rüsselsheim am Main und Kultur 123, die Stadtwerke Rüsselsheim, das Aktionsbündnis „Stark für Rüsselsheim“ sowie Hessen-Film. Er lud für das kommende Jahr 2025 zur 32. Auflage der Filmtage ein. Am 27. und 28. Juni verwandelt sich das Große Haus des Theaters mit seiner Großleinwand dann wieder zum Kino. Bis heute haben rund 43.000 Zuschauer gut 500 Filme gesehen. Dass in diesem Jahr gleich 18 hinzukamen, liegt offenbar an einer Tendenz der Teilnehmer, das erste Wort des zusammengesetzten Substantivs „Kurzfilm“ besonders zu berücksichtigen.

Illustre Runde: bisherige Sieger beim Festival

Mittlerweile gilt die Stiftung als etablierte Förderin des satirischen Kurzfilms und insbesondere junger Nachwuchstalente. Die bis heute ausgezahlten Preisgelder summieren sich auf rund eine Viertelmillion Euro. Unter den Filmen waren auch Arbeiten späterer Oscar- oder Bundesfilmpreisträger. Namen wie Thomas Stellmach, Florian Henckel von Donnersmarck oder Dietrich Brüggemann sind zu nennen, und Carsten Strauch.

Präsent sind nach wie vor auch Namen wie die des Rüsselsheimer Künstlers und Filmemachers Martin Kirchberger und seiner Mitstreiter Ralf Malwitz und Klaus Stieglitz vom damaligen Film-Team Cinema Concetta, das der späteren Stiftung den Namen gab. Sie fanden im Dezember 1991 mit 25 weiteren Mitgliedern beim Absturz eines Flugzeugs den Tod, als in der Kabine gerade allerletzte Szenen für die Satire „Bunkerlow“ gedreht wurden. Dass Kirchberger für diese Kaffeefahrt über den Wolken erstmals hohe fünfstellige öffentliche Fördermittel erhielt - unter anderem von der Filmförderung Hamburg und vom Land Hessen -, und damit den überregionalen Durchbruch festigte, verlieh der Katastrophe noch besondere Tragik. Einer der Wegbereiter der Mockumentary starb im Alter von nur 31 Jahren.

„Wunder der Wirklichkeit“

Die komplette Geschichte der damaligen Cinema Concetta hat der renommierte Dokumentarfilmer Thomas Frickel in „Wunder der Wirklichkeit“ festgehalten. In Spielfilmlänge gibt es Original-Material und Interviews mit Zeitzeugen. Der 2017 gedrehte Streifen, noch im Jahr seines Erscheinens mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ und mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet, ist seit letztem Jahr auch außerhalb von Festivals oder Kinos auf DVD (12 Euro) oder Blu-ray (17 Euro) zu sehen. Online erhältlich bei der Cinema-Concetta-Stiftung (foerderverein@cinema-concetta.de) oder direkt bei der Produktionsfirma HE-Film (frickel@agdok.de).