Wunder der Wirklichkeit
Wunder der Wirklichkeit ist das Generalthema satirischer Kurzfilme, die von der Gruppe um Martin Kirchberger mit wechselnder Aufgabenverteilung hergestellt wurden. Mit filmischen Mitteln, die dem Dokumentarfilm entlehnt sind, werden Phänomene der Wirklichkeit vorgestellt, über die man sich nur wundern kann. - Wundern Sie sich nicht, wenn sie erfahren, dass die Schwerkraft nachlässt! Es gibt Anzeichen der schleichenden Veränderung unserer Wirklichkeit, die nur von besonders aufmerksamen Zeitgenossen wahrgenommen werden. In "Buchholz bleibt" ist dies ein alter Seemann, der Anzeichen eines Gravitationsrückgang feststellt und sich deshalb mit Eifer der Aufgabe widmet, die Bäume am Boden festzubinden. Genau wie Käpt'n Buchholz widmete sich Martin Kirchberger zusammen mit seinen Freunden den Phänomenen der Wirklichkeit, die gerade dabei sind, die Bodenhaftung zur sturen Plausibilität zu verlieren, um knapp über der Realität zu schweben.
D 1990, Farbe, 35mm, 3:00 min
Peter Paul Keller war jahrelang Berufsboxer und startete für einen Frankfurter Boxclub. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn errang er die deutsche Vizemeisterschaft im Schwergewicht. Seit 14 Jahren besitzt er eine Massagepraxis in Frankfurt-Bornheim. Er weiß, wie sich Menschen anfühlen. Der menschliche Körper passt sich, ebenso wie der Geist, den umfeldlichen Gegebenheiten an. Die Architektur einer Stadt beeinflusst die muskuläre Entwicklung ihrer Bewohner...
Kamera: N. Miguletz
D 1986, s/w, 16 mm, 4:00 min
Ein Stuhl, auf dem eine Person in Asbestkleidung Platz genommen hat, wird angezündet und anschließend von bereitstehenden Feuerwehrleuten gelöscht.
Gleichzeitig ein Film, der sich ironisch auf’s Filmemachen bezieht.
D 1988, s/w, 16 mm, 11:00 min
Schgaguler, ein alter Einsiedlerhofbauer, ist einer der wenigen, der noch die Kunst des Gurkensteckens beherrscht. „Gurkenanbau ist Sache der Frau, aber stecken muss sie der Mann“. Kirchberger zieht mit ihm und seinem Filmteam bei Morgendämmerung auf einem Pferdeschlitten los. Nur an bestimmten Stellen dürfen die mitgebrachten Salatgurken in den Schnee gesteckt werden, damit sie Unheil abwehren oder ein fruchtbares Erntejahr bringen.
Der Film greift den Konflikt der menschlichen Entfremdung von Natur auf. Das Gurkenstecken im Schnee soll Haus und Hof vor Unheil schützen. Natur tritt hier noch als allumfassende Kraft auf; einerseits Gefahr, andererseits Lebensquell, bestimmt sie den Rhythmus des Menschen, der versucht, sie für sich günstig zu stimmen. Beschrieben wird das Arrangement zwischen Mensch und Umwelt, das gleichzeitig beinhaltet, die ursprüngliche Lebensweise vor äußeren Einflüssen zu bewahren. Der Film macht sich das Spiel mit den Ebenen Realität und Fiktion zunutze, indem er dem vordergründig unsinnigen Gurkenstecken ernsthaftes Gewicht verleiht und es somit als Metapher für die genannten Konflikte einsetzt.
Kamera: N. Miguletz
D 1987, s/w, 16 mm, 9:00 min
Einen über 300 Gramm schweren Betonmonoliten, unter Zuhilfenahme zweier Edelkastanienstämme und einem jugoslawischen Langhanfseil in 95 cm Höhe schwebend zu fixieren, ist schwierig.
Haben Sie schon mal von der alljährlichen Zeremonie des Steinhängens im Taunus gehört? – Nein? Dann schauen Sie sich „Der Stein“ an, der fünfjährige Ole Heidekamp wird Ihnen mit wissenschaftlicher Terminologie erklären, worum es geht.
D 1989, s/w, 16 mm, 45:00 min
Das Meer ist mit einem Male wie ausgestorben. Von dem Fischreichtum Buggerru bleibt bald nur noch die Erinnerung an vergangene, bessere Tage. Die Frauen beklagen sich darüber, dass ihre Männer, seitdem sie nichts mehr zu tun haben, alles Geld verspielen und nichtsnutzig herumlungern. Natale, ein Fischer, der in Buggerru aufgewachsen ist und lange Zeit in Deutschlang arbeitete, taucht plötzlich im Dorf auf. Er befreundet sich mit Avesto, der unter den Bewohnern das Leben eines Außenseiters führt.
Kamera: Voxi Bärenklau
D 1989, Farbe, 35 mm, 5:00 min
Zugegeben: Ein Kinosessel drückt eher als ein Kneipenstuhl. In einer Kinostuhlreihe sitzt ein Zuschauer mit dem Rücken zur Kamera und wartet auf den Film. Er wendet sich um, sieht den Zuschauer und fängt an zu erzählen...
Regie: Martin Kirchberger / Voxi Bärenklau
D 1990, 16 mm, s/w, 15:00 min
Käpt'n Buchholz untersucht seit Jahren Bodenhärten, Erdzugkräfte und die Konsistenz von Stamm und Wurzelwerk der Bäume. Seit 1962 wiegt er die Erde, sammelt die Proben. Und stellt fest, dass sich das Gewicht von Jahr zu Jahr verändert. Die Erde wird leichter und der Boden lockerer. Steine, die Buchholz zu Boden wirft, benötigen mehr Zeit als früher. Fluginsekten sind nicht mehr in der Lage, von der Erdzugkraft auf dem Boden gehalten werden. Er zieht los und befestigt Bäume.
D 1990, Farbe, 16 mm, 3:00 min
In Frankfurt herrscht Unordnung. Nur wenige wissen davon und wo. Hausbesitzer aber ganz besonders. Einer macht jeden Sonntag „pico bello". Frankfurt Bockenheim in der Schlossstrasse. Sonntag 10:30 Uhr. Ein Frankfurter Hausbesitzer schaut nach dem Rechten. Der Anlass: Vollgestopfte Mülltonnen, unsachgemäß gestaute Altpapiercontainer und durcheinander stehende Fahrräder im Hofeingang. Die Frage, wie viel vier 25-Watt Glühbirnen an Strom verbrauchen, interessiert Mieter natürlich nicht. Sonntäglich gekleidet und mit einer Aktentasche ausgerüstet beginnt die Jagd auf Schnipsel, Dreckfussel und Flusen.
D 1992, Farbe, 16 mm, 18:00 min,
Schnitt / Fertigstellung: Karin Malwitz, Renate Merck
Eine Kaffeefahrt durch die Lüfte. Aber hier werden keine Heizdecken verkauft, sondern Katastrophenschutz-Ausrüstung und bombensichere Bunker. Zum Beweis, dass der Stahlbeton hält, klinkt der Pilot eine Luftmine aus und der Reporter am Boden übersteht die Explosion m Schutzraum unversehrt. Die Fluggäste sind begeistert und greifen zum Kugelschreiber. Ein Film über das groteske Geschäft mit der Angst.