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30. Rüsselsheimer Filmtage: Kritische Satire mit Tiefgang
Der Sieger ist die Sittenpolizei
Für alle ein Mord frei, und nur jeder Zweite behält einen Platz auf Erden?
Die Jubiläumsausgabe der mittlerweile 30. Rüsselsheimer Filmtage prägte eine Reihe von satirischen Arbeiten mit besonders kritischem gesellschaftspolitischem Tiefgang. So nahm bei einem Festbankett Ali Khamenei persönlich den Preis für „Das beste Regime der Welt“ entgegen. Oder was passiert, wenn jeder im Land plötzlich einen Mord frei hätte? Und kann man der drohenden Überbevölkerung der Erde Herr werden, wenn man eine pragmatische Lösung zur Halbierung der Menschheit konsequent anwendet?
Der Gewinner des Festivals („Korruption auf Erden“) zeigt einen Festsaal mit internationalen Gästen, wo die fiktive Preisverleihung im Stil einer Oscar-Vergabe für das “Beste Regime der Welt“ zelebriert wird. Eine Laudatorin lobt die exzellente politische und soziale Leistung im Iran, ehe der Darsteller des obersten politischen Führers Ali Khamenei in einer emotionalen Dankesrede den barbarischen Umgang mit Menschenrechten preist. Die unterlegten filmischen Dokumente mischen sich dabei mit authentischen Handyaufnahmen von aktuellen Protesten und vereinen auf diese Weise Fiktion und Realität in der Welt der Sittenpolizei. Der Berliner Omid Mirnour erhielt als Drehbuchautor und Regisseur den mit 5000 Euro dotierten Siegerpreis, die den „Scharfen Blick“ symbolisierende und gelegentlich als kleiner Oscar des Satirischen Kurzfilms apostrophierte Bronzeplastik aus den Händen von Michael Kirchberger, dem Vorsitzenden der Stiftung Cinema Concetta.
Platz zwei, dotiert mit 2000 Euro, gestiftet von den Stadtwerken Rüsselsheim, ging an das Team um Regisseur Ares Ceylan für die Fiktion, dass jeder Mensch per Gesetz einen Mord frei hätte. Im gleichnamigen Film interpretieren die Eltern am 18. Geburtstag ihrer Tochter Mia eine zufällig gefundenen Strichliste so, dass sie sich letzte Gewissheit darüber verschaffen möchte, wen der beiden umzubringen die bessere Wahl wäre. Beide schalten von Desinteresse gegenüber dem fast erwachsenen Kind auf ostentative Elternliebe und überbieten sich dabei gegenseitig. Als dies wenig fruchtet, greifen sich Vater und Mutter gegenseitig heftig an, „bewaffnet“ mit den Fehlern der jeweils anderen Person. Das unerwartete Ende ist eine pazifistische Geste von Mia – doch offen bleibt, was die kleinere Tochter später mal planen könnte, die stumm und scheinbar teilnahmslos Beobachterin der Szenerie ist.
Im Klimawandel nur Platz für Reiche?
Einen Blick in die Abgründe der Zivilgesellschaft werfen Regisseur Jürgen Heimüller und sein Team, den das Publikum auf den dritten Platz wählte, der von der institutionellen Partnerschaft „Stark für Rüsselsheim“ ausgestattet wurde. Um den ökologischen Kollaps zu verhindern, wird beschlossen, die Zahl der Menschen auf der Erde zu halbieren. Nur die „better half“, so der Titel des Films, darf bleiben. Zunächst herrscht allgemeine Zustimmung, geht doch jeder davon aus, unverzichtbar zu sein und auf der sicheren Seite zu stehen. In einer fiktiven Magazinsendung werden Wissenschaftler interviewt, Menschen auf der Straße hält man Mikrofone hin. Immer mehr Leute begreifen, dass sie sich zu Unrecht auf der sicheren Hälfte der Menschheit verortet haben. Der Status quo bröckelt, soziale Dämme brechen.
Philipp Engel, Moderator vom Hessischen Rundfunk, führte wieder die Interviews mit den Preisträgern. Der Stiftungsvorsitzende Michael Kirchberger bedankte sich bei den Sponsoren und Förderern - darunter die Stadt Rüsselsheim am Main und Kultur 123, Mobilitätspartner Hyundai mit dem Autohaus Arscholl und den Stadtwerken Rüsselsheim sowie Hessen Film und Medien. Er lud für das kommende Jahr 2024 zur 31. Auflage der Filmtage ein. Am 14. und 15. Juni. verwandelt sich das Große Haus des Theaters mit seiner Großleinwand wieder zum Kino.
Illustre Runde: einige bisherige Sieger beim Festival
Bis heute hat die Stiftung um 240.000 Euro an Preisgeldern vergeben, und rund 41.000 Zuschauer haben gut 500 Filme gesehen. Darunter waren auch Arbeiten späterer Oscar- oder Bundesfilmpreisträger. Namen wie Thomas Stellmach, Florian Henkel von Donnersmarck, Carsten Strauch oder Dietrich Brüggemann sind zu nennen. Unvergessen freilich bleiben auch Namen wie Martin Kirchberger, Ralf Malwitz oder Klaus Stieglitz vom damaligen Film-Team Cinema Concetta. Sie fanden im Dezember 1991 mit 25 weiteren Mitgliedern beim Absturz eines Flugzeugs den Tod, als in der Kabine gerade allerletzte Szenen für die Satire „Bunkerlow“ gedreht wurden.
„Wunder der Wirklichkeit“ als DVD oder Blu-ray erstmals im Handel
Ihre Geschichte hat der renommierte Dokumentarfilmer Thomas Frickel in der Produktion „Wunder der Wirklichkeit“ festgehalten. In Spielfilmlänge sind Original-Material und Interviews mit Zeitzeugen zu sehen. Der 2017 gedrehte Streifen, noch im Jahr seines Erscheinens mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ und mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet, war bislang nur auf Festivals oder in Kinos und vorübergehend in der ARD Mediathek zu sehen. Anlässlich des Jubiläums ist der Film jetzt sowohl als DVD als auch im Blu-ray-Format erschienen und konnte im Theater erworben werden. Anfang Juli kann er online auch bei der Cinema-Concetta-Stiftung (foerderverein@cinema-concetta.de) oder direkt bei der Produktionsfirma HE-Film (frickel@agdok.de) bestellt werden.
Geschenke und Tombola zum Jubiläum
Anlässlich des Jubiläums bedachte die Cinema Concetta Filmförderung mit Geschenken und richtete am Samstag eine Tombola aus. So erhielten alle Besucher eine Henkeltasche aus Stoff, die mit dem Logo der Filmtage bedruckt ist. Bei der Verlosung gab es Freikarten der kulturellen Kooperations-Partner der Veranstalter zu gewinnen. Insgesamt 30 Ticket ermöglichen nun den Gewinnern des kostenlosen Eintritt in die Ausstellung der Opelvillen, den Besuch zweier Konzerte der Jazz Fabrik und der Veranstaltungen des Kunstvereins Rüsselsheim e.V..