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32. Rüsselsheimer Satire-Festival startet auch Kultursommer Südhessen
Mama mia
Im Votum der Zuschauer vorn: klassische soziale wie KI-induzierte Konflikte
„Wegen Mama“ sahen sich zwei erwachsene Schwestern nicht dazu in der Lage, am vierten Todestag der Mutter eine Flasche Sekt zu öffnen - zunächst. Am Ende des Siegerfilms der 32. Rüsselsheimer Kurzfilmtage verließ eine der beiden jedoch ihre Komfortzone und bemächtigte sich wieder des Schaumweins. Platz zwei und drei im Votum des Publikums belegten Arbeiten, die wütende Eltern zum Erfolg des Babys der anderen zeigen, und wie problematisch es sein kann, einen Chatbot zur Rettung der jungen Beziehung auf den Weg zu schicken. - Genau wie das Festival, hat auch der zeitgleich gestartete Kultursommer Südhessen mittlerweile eine 32-jährige Tradition. „Die Eröffnung im Theater Rüsselsheim ist ein wichtiges Signal für das kulturelle Leben in der gesamten Region“, sagte zur Begrüßung Dr. Abdelkader Al Ghouz, Leiter Kultur 123 Rüsselsheim, der sich freute, dass das Startsignal in der „guten Stube unserer Stadt“ gegeben werde.
Bronze für Platz eins
Ganz dem Genre gerecht begrüßten zu Beginn der Filme im Theater Evelyn Wendler und Peter Hoffmann alias Kabarett-Duo Kabbaratz. Für die Moderation des Abends konnte Event-Profi Michèle Kreuter gewonnen werden, die bereits vor dem Abitur am städtischen Immanuel-Kant-Gymnasium Schauspielunterricht genommen und dort bei Musicalproduktionen mitgewirkt hat. Dazu stellte sie in Interviews die Repräsentanten der 14 Filme vor, die von der Jury der Cinema Concetta ins Programm gewählt wurden – ehe dann zum Schluss des Festivals traditionell wieder das Votum des Publikums darüber entscheidet, welche drei Filmemacher auf dem Podium stehen. Bronze weist in Rüsselsheim dabei nicht den dritten, sondern den ersten Platz aus. Es ist das Material der den „Scharfen Blick“ symbolisierenden und gelegentlich als kleiner Oscar des Satirischen Kurzfilms apostrophierten Bronzeplastik.
Sekt oder Selters
Was macht man mit einer Flasche Sekt, wenn man lange zögert diese zu öffnen? Auf derselben Etage hat ein Nachbar Freunde zu Besuch – und der freut sich über das unerwartete Geschenk. “Wegen Mama“ heißt der knapp eine Viertelstunde lange Streifen von Regisseurin Lara Krämer, in dem die Schwestern Esther und Christine unter dem langen Schatten ihrer verstorbenen Mutter leiden. An deren vierten Todestag reflektieren sie die Ansprüche ihrer Mutter und erkennen auch die Notwendigkeit, die Beziehung untereinander neu zu verhandeln. Und dann traut sich die eine doch: Klingelt beim Nachbarn, bahnt sich einen Weg durch die Feiernden und mit der noch verschlossenen Flasche zur schwesterlichen Wohnung zurück: Der Sekt wird geöffnet.
Protest gegen den aufrechten Gang
Beim „BABY-RENNEN“ auf Platz zwei (Buch und Regie David Thibaut, Katharina Schnekenbühl, Diego Oliva Tejeda) geht alles ganz schnell. Die Kleinsten krabbeln der Ziellinie entgegen, die Kamera ist gerade 60 Sekunden lang geöffnet – Kurzfilm ist Kurzfilm. Das reicht allerdings, um ein Baby beim Aufstehen und beim aufrechten Gang zu sehen. Regeln gebrochen, Eltern beginnen wüst darüber zu streiten. Platz drei belegt „Gekünstelte Intelligenz“, Regie Tim Seibert von der Hochschule RheinMain Campus Rüsselsheim am Main. Der junge Till ist begeistert vom Chatbot, der ihm eine Hausarbeit schreibt, und als derselbe ihm ein Date mit der neuesten Freundin rettet, trifft er keine Entscheidungen mehr ohne KI. Allerdings gelingt es so am Ende eben nicht, den Anschein des perfekten Freundes aufrechtzuerhalten.
Bisherige Sieger beim Festival: illustre Runde:
Die 33. Auflage des Festivals im kommenden Jahr ist für 19. und 20. Juni geplant, seit 1994 haben rund 45.000 Zuschauer über 500 Filme gesehen. Längst gilt die Stiftung als etablierte Institution zur Förderung des satirischen Kurzfilms und insbesondere junger Nachwuchstalente. Die Preisgelder summieren sich bis heute auf rund eine Viertelmillion Euro – auch ausgezahlt an spätere Oscar- oder Bundesfilmpreisträger wie Thomas Stellmach, Florian Henckel von Donnersmarck oder Dietrich Brüggemann und Carsten Strauch.
Präsent sind nach wie vor auch Namen wie die des Rüsselsheimer Künstlers und Filmemachers Martin Kirchberger und seiner Mitstreiter wie Ralf Malwitz und Klaus Stieglitz vom damaligen Film-Team Cinema Concetta, das der späteren Stiftung den Namen gab. Sie fanden im Dezember 1991 mit 25 weiteren Mitgliedern während allerletzter Dreharbeiten für „Bunkerlow“ beim Absturz eines Flugzeugs den Tod, gedreht wurde „Bunkerlow“, eine Kaffeefahrt über den Wolken und damit ein Projekt, für das Kirchberger erstmals öffentliche Fördermittel erhielt – in fünfstelliger Höhe unter anderem von der Filmförderung Hamburg und vom Land Hessen. Wie in jedem Jahr, wurde das Programm von einer satirischen Arbeit Martin Kirchbergers eingeleitet: „Stuhl in Extremsituationen“ von 1986.
Die Anfänge
Die vielversprechenden Anfänge von Martin Kirchberger und dem Team der damaligen Cinema Concetta sind in „Wunder der Wirklichkeit“ kongenial festgehalten. Der renommierte Dokumentarfilmer Thomas Frickel hat mit Original-Material von den satirischen Filmen, von „Mockumentaries“ und Statements von Weggefährten, in Spielfilmlänge den Weg und die Erfolge festgehalten. 2017 gedreht, wurde der Streifen noch im Jahr seines Erscheinens mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ und mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet. Er ist auf DVD (12 Euro), Blu-ray (17 Euro) sowie online bei der Cinema-Concetta-Stiftung (foerderverein@cinema-concetta.de) oder direkt bei der Produktionsfirma HE-Film (frickel@agdok.de) erhältlich.
„Ohne Kultur kein soziales Zusammenleben“
Stolz auf die Rüsselsheimer Filmtage ist Patrick Burghardt. Das sagte der Oberbürgermeister und Kulturdezernent der Stadt anlässlich der Eröffnung des Kultursommers Südhessen bei der 32. Auflage des Festivals für satirische Kurzfilme im Theater der Stadt, zu dessen Fortbestand er sich unter dem Applaus der Zuschauer bekannte.
In der von Michèle Kreuter moderierten Gesprächsrunde mit Politikern der Region hob der Darmstädter Regierungspräsident Prof. Dr. Jan Hilligardt die Vielfalt und die Kreativität der Region hervor. Der Kultursommer mache diese Kreativität sichtbar. An den satirischen Beiträge schätzte er sowohl das Lachen über die Einfälle ebenso wie die Ansätze zur kritischen Auseinandersetzung. Landrat Peter Schellhaas, Kreis Darmstadt-Dieburg, ist Vorsitzender des Kultursommers Südhessen, dessen Offenheit er weit fasst. Wie auf einer guten Blumenwiese, könne auch hier vielfältig Schönes wachsen, was die Menschen mehr freuen könne, als zuhause Filme zu schauen. Thomas Will, Landrat für den Kreis Groß-Gerau, sieht die Chance für die Bevölkerung, Besitz von Kultur zu nehmen. „Ohne Kultur kein soziales Zusammenleben“, sagte Will, der sich wünscht, dass am Ende die Leute freudiger nach Hause gehen als sie gekommen sind.